Ein Sturz auf dem Spielplatz, ein unglücklicher Zusammenstoß beim Toben – und plötzlich fehlt eine Ecke vom Zahn oder eine Lücke klafft, wo eben noch einer war. Ein Zahnunfall beim Kind ist für Eltern und Kind ein riesiger Schreck. Doch jetzt ist es wichtig, Ruhe zu bewahren. Denn wenn du schnell und richtig handelst, können die meisten verletzten Zähne gerettet und teure Spätfolgen vermieden werden. Dieser Leitfaden zeigt dir Schritt für Schritt, was jetzt zu tun ist.
Das Wichtigste in Kürze
- Ruhe bewahren und eine eventuelle Blutung mit einer Kompresse stillen.
- Prüfen: Ist es ein Milchzahn oder ein bleibender Zahn? Das weitere Vorgehen ist komplett unterschiedlich!
- Zahn/Zahnstück suchen: Ausgeschlagene bleibende Zähne nur in eine Zahnrettungsbox oder kalte H-Milch legen. Niemals die Wurzel berühren!
- Sofort zum Zahnarzt oder in eine Zahnklinik fahren. Jede Minute zählt.
Inhaltsverzeichnis
Erste Hilfe: Die Schritt-für-Schritt-Anleitung
Schritt 1: Situation sichern und Blutung stoppen
Deine Ruhe ist jetzt entscheidend. Tröste dein Kind und schau dir die Verletzung an. Blutet es aus dem Mund, lass dein Kind auf ein sauberes Stofftaschentuch oder eine sterile Kompresse beißen. Die Blutung sollte nach wenigen Minuten aufhören. Prüfe, ob es neben dem Zahn weitere Verletzungen an Lippe oder Kiefer gibt.
Schmerzen lindern: Du kannst deinem Kind sofort ein alters- und gewichtsgerechtes Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol geben, um die akuten Schmerzen zu reduzieren. Dies hilft deinem Kind, sich zu beruhigen und die Situation besser zu bewältigen.
Schritt 2: Milchzahn oder bleibender Zahn? (Der entscheidende Unterschied!)

Dies ist die wichtigste Weichenstellung. Das Alter deines Kindes gibt den besten Hinweis:
- Ca. 0-6 Jahre: Sehr wahrscheinlich ein Milchzahn.
- Ca. 6-12 Jahre: Mischgebiss! Bleibende Zähne sind größer und oft etwas gelblicher als die kleinen, strahlend weißen Milchzähne.
- Ab ca. 12 Jahren: Sehr wahrscheinlich ein bleibender Zahn.
Je nachdem, welcher Zahntyp betroffen ist, musst du völlig anders handeln:
Vorgehen bei einem Unfall mit einem Milchzahn
- Zahn NICHT wieder einsetzen: Ein ausgeschlagener Milchzahn wird niemals zurückgesteckt! Du könntest damit den darunterliegenden Zahnkeim des bleibenden Zahnes schwer beschädigen.
- Trotzdem zum Zahnarzt: Auch wenn es „nur“ ein Milchzahn ist, sollte ein Zahnarzt zeitnah prüfen, ob der bleibende Zahn im Kiefer verletzt wurde und ob eventuell scharfe Kanten am Restzahn geglättet werden müssen.
Vorgehen bei einem Unfall mit einem bleibenden Zahn
Hier zählt buchstäblich jede Minute! Die folgende Anleitung orientiert sich an den internationalen Leitlinien der International Association of Dental Traumatology (IADT).
- Zahn suchen & richtig anfassen: Finde den Zahn oder das Zahnstück. Berühre niemals die Wurzel, sondern fasse den Zahn immer nur an der Krone (dem sichtbaren Teil) an.
- Zahn bei Verschmutzung sanft reinigen: Ist der Zahn verschmutzt, spüle ihn für maximal 10 Sekunden vorsichtig mit kalter, isotoner Kochsalzlösung oder kalter H-Milch ab. Nicht schrubben, nicht desinfizieren!
- Versuchen, den Zahn sofort wieder einzusetzen (Sofort-Replantation): Dies ist die absolut beste Methode mit der höchsten Überlebenschance. Wenn das Kind kooperativ ist und der Zahn sauber erscheint, versuche, ihn vorsichtig wieder in die leere zahntragende Höhle im Kiefer zurückzustecken. Lass das Kind anschließend sanft auf ein Stofftaschentuch beißen, um den Zahn zu fixieren.

Eine Zahnrettungsbox aus der Apotheke ist die beste Möglichkeit, einen ausgeschlagenen Zahn aufzubewahren. - Wenn Wiedereinsetzen nicht möglich ist: Wenn ein Wiedereinsetzen nicht möglich ist, muss der Zahn sofort feucht gelagert werden. Die Reihenfolge der Eignung ist:
- Am besten: Eine Zahnrettungsbox oder eine spezielle Nährlösung wie HBSS (Hank’s Balanced Salt Solution).
- Gut: Kalte, ultrahocherhitzte (H-) Milch.
- Okay: Sterile Kochsalzlösung (aus der Apotheke).
- Zur Not: Speichel. Dies ist die letzte Option und sollte nur in Ausnahmesituationen bei älteren, kooperativen Kindern genutzt werden, die den Zahn sicher in der Backentasche aufbewahren können, ohne ihn zu verschlucken.
Wichtig: Die kritische Grenze für die Zellen liegt bei ca. 60 Minuten. Innerhalb dieser Zeit muss der Zahn wieder professionell versorgt sein.Absolut ungeeignet sind Wasser und die trockene Lagerung (z.B. in einem Taschentuch).
Schritt 4: Sofort zum Zahnarzt oder in die Zahnklinik
Fahre nach einem Unfall mit einem bleibenden Zahn unverzüglich zum nächstgelegenen Zahnarzt oder in eine Zahnklinik mit Notdienst. Je schneller der Zahn professionell versorgt und zurückgesetzt wird, desto höher ist die Chance, dass er wieder anwächst.
Wer zahlt beim Zahnunfall? Infos zu Kosten & Versicherung

Ein Zahnunfall kann teure Spätfolgen haben. Die Kostenübernahme hängt davon ab, wo der Unfall passiert ist. Wichtig ist immer eine lückenlose zahnärztliche Dokumentation von Beginn an.
- Zahnunfall in Schule, Kita oder Sportverein: Hier greift die gesetzliche Unfallversicherung. Melde den Unfall umgehend der Einrichtung.
- Zahnunfall in der Freizeit: Hier ist primär deine Krankenkasse der Ansprechpartner. Sie übernimmt die Kosten für die medizinische Regelversorgung.
- Private Unfallversicherung: Eine private Unfallversicherung kann je nach Tarif zusätzliche Kosten abdecken, die über die Kassenleistung hinausgehen (z.B. für hochwertigere spätere Versorgungen).
Wichtigster Tipp: Egal, wo der Unfall passiert ist – eine sofortige und lückenlose Dokumentation durch einen Zahnarzt ist immer die wichtigste Grundlage für jegliche Kostenübernahme durch Versicherungen.
Extra-Tipp: Melde auch scheinbar harmlose Unfälle (z.B. ein nur leicht gelockerter Zahn) vorsorglich der zuständigen Versicherung (Schulunfallkasse oder Krankenkasse). Ohne eine zeitnahe Unfallmeldung kann die Übernahme von teuren Spätfolgen Jahre später abgelehnt werden.
Was passiert beim Zahnarzt – und was musst du danach tun?

Nach deiner erfolgreichen Ersten Hilfe beginnt die professionelle zahnärztliche Versorgung. Auch in den Wochen danach ist deine Mithilfe entscheidend für die Heilung.
Die Behandlung in der Praxis
Der Zahnarzt wird je nach Situation folgende Schritte einleiten:
- Wundversorgung und Tetanus-Check: Die Wunde im Mund wird sanft mit steriler Kochsalzlösung gespült. Bei verschmutzten Wunden wird der Arzt außerdem den Tetanus-Impfstatus deines Kindes überprüfen und ggf. eine Auffrischung empfehlen.
- Röntgenkontrolle: Vor dem Wiedereinsetzen wird die Position des Zahnes und der Zustand des Kieferknochens mit einem Röntgenbild kontrolliert.
- Schienung (Splinting): Der zurückgesetzte Zahn wird mit einer flexiblen (nicht-starren) Schiene für ca. zwei Wochen an den Nachbarzähnen stabilisiert. Sollte bei dem Unfall auch der zahntragende Knochen gebrochen sein (Alveolarfraktur), muss die Schiene bis zu vier Wochen belassen werden.
- Antibiotische Prophylaxe: Um Infektionen und eine damit verbundene Auflösung der Zahnwurzel zu verhindern, kann der Arzt je nach Verletzungsart und Infektionsrisiko ein Antibiotikum (z.B. Amoxicillin) verschreiben.
- Einleitung der Wurzelkanalbehandlung: Bei zurückgesetzten bleibenden Zähnen mit abgeschlossenem Wurzelwachstum ist eine Wurzelkanalbehandlung 7–10 Tage nach dem Unfall zwingend notwendig, um Spätfolgen wie Entzündungen und den Abbau der Zahnwurzel zu verhindern.
Die wichtige Nachsorge zu Hause
Für eine erfolgreiche Heilung solltest du in den ersten zwei Wochen nach der Behandlung auf Folgendes achten:
- Mundhygiene: Zweimal tägliches Spülen mit einer Chlorhexidin-Lösung (0,12 %), da das Zähneputzen an der verletzten Stelle kaum möglich ist.
- Ernährung: Gib deinem Kind ausschließlich weiche Kost, um den geschienten Zahn nicht zu belasten.
- Sportverbot: Auf Kontaktsport und Schwimmen sollte für die Dauer der Schienung verzichtet werden.
- Vorsichtiges Putzen: Die übrigen Zähne sollten weiterhin sanft mit einer weichen Zahnbürste gereinigt werden.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
1. Wird ein gelockerter Milchzahn nach einem Sturz wieder fest? Ja, in vielen Fällen wachsen gelockerte Milchzähne wieder fest. Wichtig ist, dass dein Kind für einige Tage auf der betroffenen Seite nur weiche Kost isst. Der Zahnarzt muss aber trotzdem prüfen, ob der darunterliegende bleibende Zahnkeim verletzt wurde.
2. Was tun, wenn nur ein Stück vom Zahn abgebrochen ist? Auch hier gilt: Milchzahn oder bleibender Zahn? Suche das abgebrochene Stück, lege es feucht in Milch oder eine Zahnrettungsbox und fahre sofort zum Zahnarzt. Abgebrochene Stücke von bleibenden Zähnen können oft wieder angeklebt werden.
3. Mein Kind ist auf den Mund gefallen, aber man sieht nichts. Müssen wir trotzdem zum Arzt? Ja, eine zahnärztliche Kontrolle ist sehr sinnvoll. Ein Zahn kann durch die Erschütterung unsichtbar an der Wurzel verletzt worden sein. Nur ein Zahnarzt kann Spätfolgen (z.B. eine spätere Verfärbung des Zahns) durch regelmäßige Kontrollen früh erkennen.
4. Warum ist eine Zahnrettungsbox so wichtig? Sie enthält eine spezielle Nährlösung, die die empfindlichen Zellen an der Zahnwurzel am Leben erhält. Das erhöht die Chance auf eine erfolgreiche Rettung des Zahnes im Vergleich zu allen anderen Methoden enorm.
5. Was sind die häufigsten Spätfolgen eines Zahnunfalls? Selbst ein erfolgreich zurückgesetzter Zahn ist ein Langzeitpatient. Regelmäßige zahnärztliche Kontrollen über mindestens 5 Jahre sind entscheidend, um Spätfolgen früh zu erkennen. Die häufigsten sind:
- Absterben des Zahnnervs (Pulpanekrose): Der Zahn wird dunkel. Bei Zähnen mit abgeschlossenem Wurzelwachstum ist eine Wurzelkanalbehandlung meist 7–10 Tage nach dem Unfall zwingend nötig, um Entzündungen zu verhindern. Bei Zähnen mit offenem Apex (bei jüngeren Kindern) wartet man oft ab, in der Hoffnung, dass der Nerv wieder einheilt.
- Ankylose (Wurzelverwachsung): Der Knochen wächst direkt an die Zahnwurzel an. Der Zahn ist dann „starr“, wächst nicht mehr mit und kann langfristig verloren gehen.
Die typischen Nachsorgetermine sind nach 2 Wochen, 4 Wochen, 3 Monaten, 6 Monaten, 1 Jahr und danach jährlich.
Quellen und weiterführende Informationen
Dieser Artikel wurde sorgfältig auf Basis anerkannter zahnmedizinischer Leitlinien und Fachquellen erstellt. Hier findest du eine Auswahl für eine vertiefte Recherche:
- IADT – The International Association of Dental Traumatology: Die weltweit führende Fachgesellschaft, deren Leitlinien den Goldstandard darstellen.
- AWMF / DGZMK Leitlinie: Die offizielle S2k-Leitlinie „Therapie des dentalen Traumas bleibender Zähne“ für Ärzte in Deutschland.
